Zukunft der Demokratie: Jugend macht Politik

Doch wie viel Macht steht der jungen Generation tatsächlich zu? Der Kongress "Jugend gestaltet die digitale Gesellschaft" führte Jugendliche mit Politikern, Wissenschaftlern und Praktikern zusammen – am 11. Mai 2017, auf Augenhöhe. Fazit: Weniger Klischees, mehr Vertrauen, echte Beteiligung.

Konsumenten, zukünftige Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Anleger – welche sozialen Rollen und Identifikationsflächen bietet Politik, bietet die deutsche Gesellschaft Jugendlichen eigentlich an? Und wird im öffentlichen Diskurs das Bild einer politisch interessierten und beteiligten Jugend angemessen verhandelt?

NEUE LEITPLANKEN FÜR GELEBTE DEMOKRATIE

Wie interessiert Jugendliche an demokratischer Teilhabe sind und wie selbstaktiviert sie eigene, erfolgreiche Beteiligungsprojekte auf den Weg bringen, das belegte der bundesweite Kongress „Jugend gestaltet die digitale Gesellschaft“ in Berlin eindrucksvoll. Fokus der Veranstaltung, die ich als Fach-Moderatorin begleitete:

Jugendliche wollen und sollen mehr politische Entscheidungsfähigkeit erhalten, um nicht nur ihre Belange, sondern auch ihre Kreativität für die gesamte Zukunftsfähigkeit des Landes einzubringen. Weg also vom passiven Konsumenten, hin zum aktiven jungen Bürger und Gestalter.

Exakt diesen Themen widmete sich die Fachveranstaltung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Gemeinschaftsprojekts jugend.beteiligen.jetzt. Am 11. Mai diskutierten Experten aus Politik, Initiativen, Verwaltung und Wissenschaft gemeinsam mit Jugendlichen, wie Partizipation praktisch gelingen kann – sowohl mit analogen als auch mit digitalen Mitteln, dabei nachhaltig und in der Fläche verankert.

GEGEN DIE DISKUSSIONS-MONOKULTUR

Direkt zu Beginn folgt umgehend die erste, wohltuende Erkenntnis: Das Beste, was einer Veranstaltung passieren kann, ist der Brückenschlag zwischen verschiedenen Generationen. Anders als auf den üblichen Veranstaltungen im Digitalsegment trafen sich auf der Bühne nicht vorzugsweise Männer mittleren Alters in schwarzen Anzügen.

Stattdessen schilderten jugendliche GestalterInnen ihre Erfahrungen aus eigenen Projekten wie Jugend hackt, FSJ-digital oder Webdays, gaben Einblicke in die größten Projekt-Herausforderungen (u.a. geschlossene Türen statt Unterstützung bei kommunalen Trägern, formalisierte Beamtensprache) und erhielten im direkten Dialog Antworten vom Bundesministerium und von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

Miteinander reden statt übereinander: Genau da, wo Menschen aufeinander zugehen, Scheuklappen wie Vorurteile ablegen und dem Gegenüber tatsächlich zuhören, fängt gesunde Beteiligungskultur an.

JUGEND ALS CHANGE AGENTS

Genau das forderte dann auch Franz-Reinhard Habbel, Pressesprecher des DSTGB und Autor des bekannten Habbel Blog, in seiner Keynote „Kommunen digital gestalten“: Statt über Köpfe hinweg zu entscheiden, brauche es Aufmerksamkeit in den Amtsstuben, benötigen kommunale Entscheider – als wichtigste Ansprechpartner jugendlicher Belange – genuines Interesse, Wahrnehmungs- und Verantwortungsvermögen.

Anstelle der oft beklagten „Black Box Verwaltung“ müsse ein kommunikatives Ambiente angeboten werden, das wichtige Daten nicht in Aktendeckeln hinter langen Amtsfluren versteckt, sondern mittels Bürgerdialog und Open Data in eine offene Gesellschaft trägt.

Von dieser Offenheit ist es dann nur noch ein Gedankensprung bis zur aktiven Teilhabe der Jugend an gesamtgesellschaftlichen Belangen: Energiewende, digitale Agenda, internationale Zusammenarbeit & Co. – aus welchem Grund bindet Politik eigentlich (noch) nicht systematisch Jugendliche als Change Agents ein? Passend dazu Habbels abschließender Weckruf: „Für Städte und Gemeinden ist diese Generation ein Glücksfall!“

DISKUSSION & EINTAUCHEN IN DIE PRAXIS

Multiperspektivisch ging es dann in der anschließenden Paneldiskussion weiter. Es gelte zwar noch „dicke Bretter zu bohren“, um eine eigenständige Jugendpolitik ressort- und ministeriumsübergreifend in sämtlichen Politikfeldern zu verankern. Dafür waren sich die Experten aus Wissenschaft, Verbänden und Praxis einig, dass die Relevanz des Themas erkannt ist und in Partizipations-Projekten umgesetzt wird.

Wichtig dabei: Beteiligungsprozesse müssen stets mehrdimensional aufgesetzt werden. Denn keine Kommune, weder Länder noch Bund verfügen über gleiche Grund-Bedingungen. Der ländliche Raum stehe beispielhaft vor ganz anderen Herausforderungen als Metropolen und städtische Ballungsgebiete. Sinn mache es gerade deshalb, die 16 jugendgerechten Referenzkommunen als Teil der Jugendstrategie 2015-2018 genauer unter die Lupe zu nehmen, um von den Erfahrungen und Erfolgen unterschiedlicher Regionen und Initiativen zu lernen.

An diesem organisatorischen Aspekt macht Jugendbeteiligung natürlich keinen Halt. Die Experten sprachen sich deutlich für ein Mehr bei den Verantwortlichen aus: mehr Mut, mehr Räume und mehr Verständnis für die Lebenswelt Jugendlicher, die analog und digital nicht mehr differenzieren. Die stattdessen Lust auf unkomplizierte Beteiligung in interessanten Projekten haben, in denen sie Rückmeldung und Selbstwirksamkeit durch ihr eigenes demokratisches Handeln erfahren, austesten, gestalten.

RÜCKBLICK, AUSBLICK, ZUKUNFT

Einen schönen, lesenswerten Rückblick auch auf weitere Formate der Veranstaltung wirft der Projektpartner IJAB an dieser Stelle. Außerdem für alle zugänglich: ein zentrales Etherpad, in dem sich Hauptaussagen und zentrale Gedanken wiederfinden: https://yourpart.eu/p/jbj17.

Die 5 zentralen Forderungen:

  • Loslassen und vertrauen: Eine gebildete, interessierte Generation möchte jetzt aktiv gestalten und benötigt hierfür eine echte, sozialisierte Partizipationskultur statt Alibi-Beteiligung.
  • Miteinander sprechen: Ja, der echte Dialog benötigt Ressourcen, die knapp bemessen sind. Keine Entschuldigung aber, da Jugendbeteiligung gesetzlich verankert ist – aus gutem Grund.
  • Räume schaffen: Wo findet Dialog sinnvollerweise statt? In Behörden, in Schulen und Jugendzentren, auf neutralem Boden? Ad hoc oder institutionalisiert? Am besten: all das.
  • Vernetzter arbeiten: Bei der Vielzahl von Partizipations-Projekten und Instrumenten kann noch mehr Austausch, mehr Voneinander-Lernen und Miteinander-Aufbauen gelebt werden – ebenenübergreifend.
  • Standards setzen: Jugendbeteiligung muss übergreifend zur Regel werden – oder wie man im Digitalen so schön sagt: zur Default-Einstellung. In den Köpfen, in konkreten Handlungen und in evidenzbasierter Politik.

Dem altersumspannendsten Publikum und den beteiligten Experten jeder Generation danke ich für die klare Diskussion, die sich nicht mit Klischees, nicht mit dem Status Quo zufrieden gab, stattdessen gemeinsam neue Leitplanken für digitale Jugendbeteiligung auf den Weg brachte.

Auch den Veranstaltern mein Dank, für die schöne, partnerschaftliche Zusammenarbeit und für das Vertrauen: das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Gemeinschaftsprojekt „jugend.beteiligen.jetzt„, gemeinsam getragen von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS), des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) und IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Digitaler Zettelkasten™

Ab Herbst 2016 steht sie und wächst: die Onlineplattform jugend.beteiligen.jetzt – für die Praxis digitaler Partizipation. Die dort aufgeführten Themen und Tools machen digitale Partizipation leichter und bündeln aktuelle Informationen an einem Ort. Lesenswert für jeden spricht die Plattform gezielt Menschen an, die digitale Jugendbeteiligungsprozesse unterstützen wollen, auf Bundes-, Landes- und insbesondere auf kommunaler Ebene. Das Besondere: Erwachsene MultiplikatorInnen können sich dort ebenso wie Jugendliche informieren, vernetzen und weiter qualifizieren, um Jugendbeteiligung voran zu bringen, zu stärken und neu zu initiieren.


Popkulturelles Kontextwissen

„Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen.“ Diese vielleicht schönste Drohung der jüngeren Parteiengeschichte wartet aktuell noch auf ihre popkulturelle Verdichtung. Während nämlich die 70er als goldene Zeit politischer Bands und Songs gelten (von Ton Steine Scherben über Hannes Wader bis hin zu Wolf Biermann), sieht es heutzutage hierzulande noch spärlich aus – von einigen Ironie-getränkten und postmodernen-Zynismus-pflegenden Gruppen abgesehen. Noch. Hoffentlich. Ändert das. Bitte.